Hier gibt es für euch als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk gleich Szenen aus beiden Büchern. Beginnen wir mit "Elaine". Sie soll als Spionin am Königshof herausfinden, wer innerhalb der Garde der Königsfamilie zu schaden versucht. Dazu dient sie als Gardist verkleidet am Hof. Mittlerweile zum Kommandanten aufgestiegen, kann sie und auch der Prinz ihr erstes Zusammentreffen nicht vergessen - vor allem, wenn romantische Walzerklänge ertönen ...
Bereit für die Leseprobe? Hier erzählt Elaine vom Weihnachtsball:
Ich blicke gedankenverloren auf das Treiben. Die Stimmung
ist gelöst. Das Fest der Liebe scheint auch das kälteste Herz durchdrungen zu
haben. Unter den Girlanden aus Stechpalmenzweigen und Tannenkränzen, die mit
roten und goldenen Glaskugeln geschmückt sind, tauchen unzählige Kerzenleuchter
den Raum in warmes Licht. Im Gegensatz zum Herbstball, wo die Flügeltüren weit
offen standen und die hohen Fenster einen Blick auf See und Rosengarten
erlaubten, sperren am heutigen Abend dicke, purpurne Samtvorhänge mit der Kälte
auch die Sicht aus.
Irgendwann schützt mich mein Platz an der Seite des Prinzen
nicht mehr vor Tanzanfragen. Da ich nicht allzu oft ablehnen kann, ohne
unhöflich zu erscheinen, füge ich mich in mein Schicksal. Umso schneller wird
der Abend vorübergehen. Ich tanze mit mehreren mir unbekannten Damen, die
allesamt meinen wirklich verbesserungswürdigen Tanzstil in den höchsten Tönen
loben. Als ich Edith auf mich zukommen sehe, versuche ich zu fliehen, obwohl
ich wissen müsste, dass dies ein nutzloses Unterfangen ist.
»Ein Tänzchen gefällig, Mylord?«
Ich winde mich bei ihren Worten, weiß ich doch zu genau, wie
der weitere Verlauf der Feier in Ediths Augen aussehen soll. Ich nehme an, mein
Titel reizt sie mehr als meine Person.
»Vergebt mir, Miss Roberts, doch ich denke nicht, dass ich
der richtige Tanzpartner für Euch bin. Wenn Ihr unbedingt nach dem
schlechtesten Tänzer des Abends sucht, solltet Ihr Euch an Mr. Montgomery
versuchen. Dieser Mann ist ein hoffnungsloser Fall, was das Tanzen angeht. Ich
wette, an ihm beißt Ihr Euch die Zähne aus. Nun entschuldigt mich, der Prinz
verlangt nach mir.« Mit einer galanten Verbeugung lasse ich sie stehen. Ich
weiß, dass sie mir meine Unhöflichkeit verzeihen wird, denn längst ist ihr
Jagdinstinkt geweckt. Mit einem entschlossenen Ausdruck in den Augen marschiert
sie auf Owen zu, der freudig in die Aufforderung zum Tanz einwilligt.
Grinsend beobachte ich die beiden, als ich mir meinen Weg
zurück zum Podium bahne. Owen scheint langsam zu ahnen, worauf er sich da
eingelassen hat. Angestrengt versucht er, mit Edith mitzuhalten. Wie ich ihn
kenne, hält ihn allein die Aussicht auf weitere Minuten in Gesellschaft des
hübschen Mädchens davon ab, sofort aufzugeben.
Aidan empfängt mich lachend. »Ihr habt schon genug,
Sandhurst? Die Liste Eurer Verehrerinnen ist lang – ich kann mir nicht
vorstellen, dass Ihr sie schon abgearbeitet habt.«
»Bitte, Hoheit, nennt mich wieder Huntington. Der Titel
bringt mir kein Glück.« Mit gespielter Zerknirschtheit nehme ich meinen Platz
an seiner Seite ein und frage leise: »Was ist denn mit Euch? Wollt Ihr gar
nicht tanzen?«
Er schüttelt stumm den Kopf. Seine Miene verfinstert sich. Nach
einer Weile brummt er: »Als ich das letzte Mal tanzte, brach es mir das Herz.
Ich verspüre keine Lust auf eine Wiederholung.«
Ich blicke betreten zu Boden. Glücklicherweise schaut der
Prinz den Tanzpaaren zu und kann mich in diesem Moment nicht sehen. Alle
verbeugen sich, als das Musikstück zu Ende ist. Ich sehe, wie Simon Frédéric
als Prinzessin Meagans Tanzpartner ablöst. Der Professor überlässt ihm
widerwillig das Feld. Die Spielleute setzen zum nächsten Tanz an – die
Melodie kommt mir bekannt vor. Mir stockt der Atem, als die Paare enger
zusammentreten und die ersten Töne des gleichen Walzerstückes erklingen, zu dem
Aidan und ich in diesem verhängnisvollen Herbst getanzt haben. Ist es wirklich
erst zwei Monate her?
Unauffällig werfe ich einen Blick auf Aidan, der blass
geworden ist. Seine Finger umschließen die gepolsterten Armlehnen mit festem
Griff, bis seine Knöchel weiß hervortreten. »Ich kann Euch nur den guten Rat
geben, Huntington, Euch nicht zu verlieben. Auf einen kurzen Augenblick der
Glückseligkeit folgt das grausame Erwachen. Wenn Ihr Glück habt, ist es nur
eine große Leere, die zurückbleibt. Manchmal jedoch ist es, als würde einem das
Herz aus der Brust gerissen werden. Ich frage mich, ob man daran wohl sterben
kann.«
Seine Stimme klingt so hoffnungslos, dass ich ihn
erschrocken ansehe. Er deutet meinen Blick anscheinend anders. »Ihr seid noch
sehr jung. Wahrscheinlich wart Ihr noch nie verliebt und haltet es für eine
Übertreibung, was ich sage?«
Es gelingt mir nicht, meine Gefühle zurückzuhalten. Auch
wenn ich weit davon entfernt bin, ihm die Wahrheit zu sagen, so muss ich mir
doch meinen Kummer von der Seele reden. »Mein Herz ist vergeben, Hoheit, doch
es ist keine glückliche Liebe. Ich versuche, sie aus meinen Gedanken zu
verdrängen, doch ich werde stets aufs Neue an sie erinnert.«
Aidan dreht sich zu mir herum. »Wird deine Liebe denn nicht
erwidert?«, fragt er voller Mitgefühl.
»Schon«, erwidere ich. »Doch es ist keine standesgemäße
Liebe. Es steht zu viel zwischen uns, um miteinander glücklich zu werden.«
Aidan schüttelt unwillig den Kopf. »Du sprichst schon wie
mein Vater. Welche Bedeutung hat denn ›standesgemäß‹ noch? Ich mag über ein
ganzes Land befehlen, doch mein Herz entzieht sich meiner Kontrolle. Eine
wirkliche, echte Liebe zu finden ist das Größte, auf das man heutzutage hoffen
kann. Deshalb weigere ich mich immer noch, Elaine aufzugeben. Nur meinem Vater zuliebe
verzichte ich mittlerweile darauf, von ihr zu sprechen. Er ist alt und krank
und möchte nichts davon hören, dass ich mich in eine Hofdame verliebt habe –
doch sie wird immer in meinem Herzen sein.«
»Wie könnt Ihr Euch sicher sein, dass sie Euch auch liebt?«,
frage ich schüchtern.
Aidan blickt mir ins Gesicht. »Ich sah es in ihren Augen«,
antwortet er schlicht.
Hastig schaue ich zur Seite. »Vielleicht irrt Ihr Euch«,
murmele ich. »Ihr solltet versuchen, sie zu vergessen. Sie hat bestimmt längst
einem anderen Mann ihr Herz geschenkt.«
»Wie bitte? Was ist denn mit Euch los, Huntington? Warum
wollt Ihr mir mit aller Gewalt meine Liebe ausreden?«
Sein zorniger Ausbruch überrascht mich. Ich entscheide mich
für die Flucht nach vorn: »Ich kannte ein Mädchen, das an gebrochenem Herzen
starb«, erwidere ich mit gezwungen fester Stimme. »Ich möchte nicht, dass Euch
das gleiche Schicksal widerfährt. Ihre übergroße Liebe hat sie zugrunde
gerichtet. Sie liegt begraben; und die Zeiten, in denen ich an eine Auferstehung
glaube, werden immer seltener.« Ich breche ab, bevor meine Stimme versagen
kann. Hat er etwas bemerkt? Warum kann ich den Mund nicht halten? Wütend wische
ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel.
Aidan schaut mich betroffen an. »Standet ihr euch nahe?«
Ich nicke und schlucke schwer. »Dass ich jung bin, heißt
nicht, dass ich wahre Liebe nicht kenne. Ich habe mehr davon empfunden, als gut
für mich ist.«
»Ich komme mir albern vor«, sagt Aidan leise. »Vielleicht
hast du Recht und ich steigere mich zu sehr in meinen Kummer hinein. Ich sollte
versuchen, darüber hinwegzukommen.« Er wirft einen Seitenblick auf seinen
Vater. »Ich nehme mir immer wieder vor, ein guter Sohn zu sein und in meines
Vaters Sinne zu handeln. Er will mich mit einer adligen Dame sehen, die unserer
Familie Ehre macht. Doch es ist eben nicht leicht, zu vergessen.« Er verfällt
in nachdenkliches Schweigen.
Weihnachten mit Simon aus Band 2? Er hat zwar politisch Karriere am Königshof gemacht, doch seine Vergangenheit als Straßenjunge droht, ihn einzuholen. Er geht soweit, sogar einen Freund in Not zu verleugnen, um nicht zu seiner Vergangenheit stehen zu müssen. Was wäre besser als das Weihnachtsessen im Kreis seiner Freunde (und einer gewissen Mrs. Bennet, die ihn mit seiner Geschichte erpresst), um endlich den Mut wiederzufinden und seinem Freund zu helfen?
Als die Haushälterin knurrend aufsteht und mir einen
fordernden Blick zuwirft, erhebe ich mich ebenfalls. Georges Gesicht lässt mich
nicht los, doch wenn ich die Augen schließe, sehe ich den winzigen Körper
meines toten Babys. Zwei Seelen, die auf meinem Gewissen lasten. Ich hole tief
Luft. Es reicht. Sie kann mich beleidigen und erpressen, wie sie will, doch
meine Freunde werde ich nicht weiterhin in die Geschichte hineinziehen lassen.
»Mrs. Bennett«, sage ich laut und klar. »Wenn ihr Teil dieser Gesellschaft
bleiben wollt, rate ich Euch, Eure Worte von nun an sorgfältiger zu wählen.
Euer Verhalten ist inakzeptabel und ich werde es nicht dulden. Ich möchte Euch
ans Herz legen, Euch den Abend über zurückzuziehen. Wir werden eine Kutsche
schicken, die Euch wieder aufs Schloss bringen wird. Morgen sehen wir weiter.«
Ich setze mich wieder, endlich einmal in dem Gefühl, nicht
ihr Spielball zu sein. Was kümmert es mich, wenn der Brief an die
Öffentlichkeit kommt und meinen Ruf zerstört? So wie bisher kann es nicht
weitergehen. Lieber mache ich mich zum Gespött in der Öffentlichkeit, als ihre
abfälligen Bemerkungen weiterhin anzuhören.
»Ach Fletcher, Ihr besteht nur aus aufgeblasenen Worten«,
sagt sie herablassend. Ein Ton, von dem Mayfield noch etwas lernen könnte. »Ich
werde gehen, doch glaubt nicht, dass Ihr so leicht aus der Sache rauskommt.«
Sie verlässt den Raum.
»Es tut mir von Herzen leid, euch alle mit hineingezogen zu
haben«, verkünde ich der Runde. »Von jetzt an werde ich tun, was ich kann, um
Mrs. Bennett von euch fernzuhalten. Bitte fühlt euch nicht verpflichtet, mir
diese Aufgabe abzunehmen. Es wird Zeit, dass ich mich selbst darum kümmere und
für meine Vergangenheit einstehe. George …« Der Junge zuckt zusammen und
blickt mich ängstlich an. »Ich war dir ein schlechter Freund und ein Dummkopf
noch dazu. Kannst du mir verzeihen?« Ich halte meine Arme auf. George wirkt so,
als wüsste er nicht, was er tun sollte. Sein zweifelnder Blick sagt nur allzu
deutlich, wie sehr meine Handlungen ihn verletzt haben. Habe ich meinen
einzigen Freund aus Kindheitstagen derart entfremdet, dass ich ihn verloren
habe?
Eine Träne läuft über mein Gesicht. Ich habe das Vertrauen
eines Kindes zerstört, und dabei habe ich am eigenen Leib spüren müssen, wie
sich das anfühlt. Wie die Narben nie ganz heilen. Wie … George springt auf
und mit lauten Getöse
fällt sein Stuhl um.
Er läuft auf mich zu,
bleibt aber wie angewurzelt in einem Meter Entfernung stehen. Langsam schiebe
ich meinen Stuhl zurück,
stehe auf und gehe zu ihm. Wird er es zulassen, dass ich ihn in die Arme nehme?
Ich beuge mich ein wenig herunter und lächele ihn zögerlich an. Sein
abweisender Blick wird warm. »Simon«, flüstert er. »Du bist wieder da.«
Ich umarme ihn und vergrabe mein Gesicht in seinem braunen
Wuschelkopf. Heiße Tränen der Reue laufen unaufhörlich über mein Gesicht. Wie
konnte ich meine Panik vor der Vergangenheit so allumfassend werden lassen,
dass ich meinen George abwies? Wie konnte ich Mrs. Bennett erlauben, eine Mauer
zwischen mich und meine Freunde zu bauen? Ist Freundschaft nicht mehr wert als
das Ansehen von irgendwelchen Leuten, die früher ohnehin auf mich gespuckt und
mir ihre Stiefel in den Rücken gerammt hätten? Ist die Scham vor meiner eigenen
Geschichte nicht verdammt nochmal völlig überzogen?